Wir haben in der letzten Sitzung gefragt, wie wissenschaftliches Wissen entsteht und sich
legitimiert. Und es gab zwei Zugangswege zunächst, den wissenschaftliches Wissen als logisch-symbolische
Form zu betrachten. Und da haben wir gesehen, dass unterschiedliche Vorstellungen von dem,
was Tatsachen sein sollen und von dem, was Wahrheit sein soll, zu unterschiedlichen Vorstellungen
über den richtigen Weg der Wahrheitsfindung führen. Wir haben zweitens gesehen, dass Wissenschaft
selbst eine soziale Praxis ist. Die wissenschaftliche Konstruktion von Tatsachen wird zur gesellschaftlichen
Konstruktion, insofern zumindest die mögliche Legitimität und Relevanz der speziellen Art
von Tatsachen, die sie behauptet, anerkannt wird. Die Wissenschaft legitimiert sich in
der Praxis dadurch, dass ihre jeweils als gültig anerkannten Diskurse institutionalisiert werden.
Das heißt, es gibt dann Wissenschaften und Lehrstühle beispielsweise. Und schließlich entstehen
diskursive und institutionelle Räume für bestimmte Wissenschaften. Und einige Beispiele dafür hatte
ich bereits genannt. Und wir werden auch noch andere Positionen kennenlernen. Nun, heute soll
es zunächst darum gehen, welche Formen wissenschaftlichen Wissens sich grundsätzlich
unterscheiden lassen. Und da finden wir in der Wissenschaftstheorie des frühen 20. Jahrhunderts
einige wichtige Einführungen von Reflektionskategorien, also von Unterschieden, auf die ich gleich eingehen
möchte. Zunächst von Wilhelm Windelband, der wesentlich auch mitverantwortlich ist für die
Einsicht, dass Wissenschaftsarten im ausgehenden 19., im beginn des 20. Jahrhunderts sich grundlegend
voneinander unterscheiden. Das war also eine Erfahrung, die damals die Wissenschaft insgesamt
umgetrieben und beunruhigt hat. Und Wilhelm Windelband war einer derjenigen, die zur
Aufklärung, zur Selbstaufklärung der Wissenschaft beitrugen. Und er unterschied zunächst die
rationalen und die erfahrungsbasierten Wissenschaften. Und die rationalen, das wäre dann eben die
Philosophie und die Mathematik. Und gemeint ist damit, sind es eben diese, die eben nicht der
empirischen Betrachtung bedürfen. Und dann hat er die erfahrungsbasierten genauer betrachtet. Und
da sind wir jetzt. Und diese wiederum unterschieden in diese beiden grundlegend unterschiedlich,
arbeitenden Bereiche. Und zwar einmal die, die er ideografisch genannt hat und die, die er
nomothetisch genannt hat. Beginnen wir mit dem nomothetischen, nomos das Gesetz und Thesis
aufstellen. Das sind also Wissenschaften, die Gesetze aufstellen. Und man könnte eben sagen,
die Gesetze finden, beispielsweise Naturgesetze oder Gesetze über Gesellschaftlichkeit. Also über
das, was in Gesellschaften passiert. Und ideografisch, idios das Eigentümliche und Grafiken schreiben.
Das sind diejenigen Wissenschaften, die nicht Gesetze aufstellen, sondern die bestimmte Einzelereignisse
verstehen lassen. Das gilt natürlich insbesondere für die Geschichte. Das heißt, etwas zu
beschreiben, sagt Windelband, heißt einen Blick in die, sei es jüngste Vergangenheit werfen,
beschreiben. Ein Gesetz aufstellen aber heißt, etwas über die Zukunft auszusagen. Denn wenn
wir ein wissenschaftliches Gesetz aufstellen, dann muss es sich ja, und das ist ja gerade der
Sinn der Geschichte, in einer zugestaltenden Zukunft bewähren. Wohingegen Geschichte keine
Gesetze aufstellt. Jedenfalls hat die Geschichtswissenschaft beispielsweise gelernt,
dass es keinen Sinn macht, Gesetze aufzustellen, weil der Verlauf von Geschichte eben viel zu
Heterogen dafür ist. Und Geschichte ist ein Fach, das uns selbst verstehen lässt, indem wir eben
selbst in unsere fernere oder jüngere Vergangenheit schauen. So schreibt also Windelband, und ich
zitiere, hier also sehen wir, die eine Wissenschaft sucht Gesetze, die andere gestalten. In der einen
treibt das Denken von der Feststellung des Besonderen zur Auffassung allgemeiner Beziehungen.
In der anderen wird es bei der liebevollen Ausprägung des Besonderen festgehalten.
Für den Naturforscher hat das einzelne gegebene Objekt seiner Beobachtung niemals als solches
wissenschaftlichen Wert. Es dient ihm nur so weit, als er sich für berechtigt halten darf,
es als Typus, als Spezialfall eines Gattungsbegriffs zu betrachten. In Klammern,
wie zum Beispiel in der Biologie, wenn man eine neue Art findet. Für den Historiker besteht die
Aufgabe, irgendein Gebilde der Vergangenheit in seiner ganzen individuellen Ausprägung zu
ideeller Gegenwärtigkeit neu zu beleben. Das Gesetz und das Ereignis bleiben als letzte
inkommensurable, also unvergleichbare Größen unserer Weltvorstellung nebeneinander bestehen,
so schließt Wilhelm Windelband. Und das eine, das Gesetz, ist natürlich das Naturgesetz und das
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:02:48 Min
Aufnahmedatum
2020-11-30
Hochgeladen am
2020-12-06 23:29:29
Sprache
de-DE